AUTHENTISCH SEIN? BITTE NICHT!

„Authentizität“. Mehr als zwei Millionen Einträge bei Google, ein Großteil davon Coachings und Trainings auf dem Weg zum „authentischen“ Dasein. Auch als Trainerin erlebe ich es oft, dass Teilnehmer „authentisch“ wirken wollen. Und mir juckt es dann in den Fingern, denn meist hier liegt ein Missverständnis vor: Wie authentisch wollen Sie sein, wenn z.B. um 11 Uhr das Kamerateam wartet, Sie sich aber gerade maßlos über einen Mitarbeiter geärgert haben. Den Morgen hat ihr pubertierender Sohn mit Nicht-Kommunikation verdorben und Ihr Backenzahn rechts hinten (für Zahnärzte: die 4-7) meldet sich auch schon wieder? „Authentisch“ wäre dann zu sagen: „Leute, ich habe keinen Bock auf dieses Interview. Kommt morgen wieder!“ Geht natürlich nicht.

Historische Momente der Authentizität gibt es in den Medien immer wieder mal: Da rastet ein Per Mertesacker bei der Fußball-WM vor laufenden Kameras aus, Rudi Völler pöbelt im Studio, Sigmar Gabriel zickt Marietta Slomka an. Unterhaltsam, aber nicht zielführend.

Der Autor Rolf Dobelli widmet der „Authentizitätsfalle“ in seinem aktuellen Buch (Die Kunst des guten Lebens) ein eigenes Kapitel und schreibt unter anderem: „Authentizität hat ihren berechtigten Platz in der Lebenspartnerschaft oder in einer sehr engen Freundschaft, aber nicht gegenüber flüchtig Bekannten und schon gar nicht gegenüber der Öffentlichkeit.“

Dobelli rät, sich – als Facette der eigenen Persönlichkeit – eine Art „Außenminister“ zuzulegen. Eine Variante Ihrer eigenen Person, die verlässlich kommuniziert, hält was sie verspricht, professionell auftritt und „ein Minimum an Manieren an den Tag legt“. Ein solcher Außenminister würde nie, wie im oben beschriebenen Beispiel, zum Interview kommen und das Team wieder wegschicken. Er würde Haltung bewahren und seine Kommunikationschance nutzen. Und darum geht es!

Soll also jeder in eine künstliche Rolle schlüpfen, sich verstellen, gar nicht mehr er oder sie selbst sein in der Öffentlichkeit? Und wirken dann am Ende alle gleich? Nein!

Jeder – und das ist mir auch im Medientraining ein echtes Anliegen – soll seine eigenen Stärken, sein Temperament, seine Persönlichkeit einbringen in ein Gespräch oder Interview. Jeder ist zugleich gut beraten, sein Innerstes nicht nach außen zu kehren. Also: Bei sich selbst bleiben, bei seinem Botschaften UND mit dem eigenen „Außenminister“ nach den Regeln des Mediums spielen – das sollte das Ziel sein.