Die Kraft guter Vergleiche

Um es gleich vorweg zu sagen: Vergleiche mit dem Wettbewerb sind hier nicht gemeint. Die können Sie getrost Herbert Diess von VW überlassen. Er nimmt das „böse T-Wort“ Tesla derzeit so häufig in den Mund, als würde er dafür bezahlt.

Hier soll es um Vergleiche gehen, die komplexe Sachverhalte leichter verständlich machen. Je komplexer das Thema, desto wertvoller ein Vergleich.

Beispiel 1 kommt vom ZEIT-Autor Bernd Ulrich aus dem Wahlkampf 2021:  

„Jeder weiß also, dass die Normalität der vergangenen Jahre vorbei ist. Aber wer will das auch wahrhaben? Die Politik gewiss nicht, sie arbeitet einfach normal weiter. Weder ihre Worte noch ihre Programme noch ihr Personal passen zur Wirklichkeit. Was die Parteien da veranstalten, gleicht dem Versuch, mit einer Tigerenten-Zahnbürste das Gebiss eines weißen Hais zu reinigen.“

Beispiel 2 liefert Gabor Steingart. Sein Morning Briefing ist ein Füllhorn guter Vergleiche! Dieser hier stammt vom 18. November 2021 – eine Kritik an Corona-Politik der Bundesregierung:

„Gesellschaft und Wirtschaft bewegen sich deutlich schneller als die Politik. Das Virus galoppiert, die Bevölkerung trabt und die Regierung geht erhabenen Schrittes den Wellen 5 und 6 entgegen.“

Okay, zum Verständnis von Beispiel 1 sollte man die schwarz-gelbe Tigerente vor Augen haben. Hat dann vielleicht doch nicht wirklich jeder. Schritt, Trab und Galopp sind da schon besser. Im allerbesten Fall sind Vergleiche eine Brücke in die Welt von Jedermann und Jederfrau. Das wird am folgenden Beispiel nochmal deutlicher.

Beispiel 3 stammt aus der Welt der Geldpolitik:

Bis zu diesem Sommer, als die Inflation sprunghaft gestiegen ist, haben sich Volkswirte große Sorgen um die Gemengelage aus Niedrigzins und niedriger Inflation gemacht. Die volkswirtschaftliche Gemengelage ist in etwa diese hier: Wie kann ich die Inflation zumindest deutlich über Null halten, wenn ich die Zinsen nicht weiter senken kann? Inflation ankurbeln, aber in Maßen, das ist schwer – und viele Experten nutzten dafür den Vergleich mit der Ketchup-Flasche: Dreht man die um, kommt erst mal eine Weile nichts. Dann schüttelt man ein bisschen, und plötzlich ergießt sich der Ketchup über den halben Teller. Und das will ja auch niemand, nicht beim Ketchup und auch nicht bei der Inflation.

Gerade der Ketchup-Vergleich zeigt: Je komplexer das Thema, desto mehr lohnt es sich, über leicht verständliche Analogien aus dem Alltag nachzudenken. Beim Vergleich macht es häufig „klick“, plötzlich verstehe ich, worum es wirklich geht. Vergleiche starten im besten Fall ein Kopfkino mit Bildern aus der Alltagswelt. Dadurch ist es leichter, sich bestimmte Zusammenhänge zu merken und sie sogar einem Dritten weiterzuerzählen.

Als Trainerin gehören Vergleiche für mich zu den essentiellen „Zutaten“ guter Kommunikation. Und es ist mir ein Rätsel, warum viele Redner sie nicht häufiger einsetzen. Vergleiche gehören unbedingt in die Vorbereitung eines Medienauftritts oder einer öffentlichen Rede. Denn: Stimmige Vergleiche fallen in Stresssituationen nur selten vom Himmel.

Häufig stammen gute Vergleiche aus dem Sport, aus dem Straßenverkehr oder aus dem Hausbau. Auch das Umfeld von Küche und Kochen ist beliebt. Hier ein etwas älterer Fund auf Twitter:

Kevin Kühnert wird oft jünger geschätzt als er ist und bei öffentlichen Auftritten oft auf sein Alter angesprochen. Oder auf seine Körpergröße. Oder ob er in einer WG lebe… Diese Art von Fragen nerven den Politiker ohne Ende. Aber anstatt zu sagen: Leute, ihr nervt! – formuliert er es auf Twitter so:

„Werde anfangen, solche überaus relevanten Fragen zu beantworten, sobald Merkel & Co. gefragt werden, ob sie beim Joghurt immer den Deckel ablecken.“

Das Bild muss man erstmal wieder aus dem Kopf bekommen…! 😊