Mehr Abbitte, bitte

Während ich diesen Blog schreibe, sitze ich im falschen Zug von Hamburg nach Berlin. Genau genommen sitze ich im richtigen Zug, aber nicht mit dem Kollegen, mit ich fahren wollte. Er hatte mir eine Verbindung genannt, ich hatte diese Verbindung gebucht – doch er hatte sich bei der Uhrzeit vertippt. Nun sitzt der Kollege in einem anderen, richtigen Zug und ich sitze in meinem. Das tue ihm sehr leid, schreibt er mir per WhatsApp, er habe sich einfach um eine Stunde vertan. Damit ist das Thema aus der Welt.

So etwas hören wir in der öffentlichen Kommunikation nur selten: Dass jemand einen Fehler einräumt und um Entschuldigung bittet. Im Bundestagswahlkampf 2021 passierte das zwar mit schöner Regelmäßigkeit, aber nur nach öffentlichem Druck: Geschönter Lebenslauf bei Baerbock – Entschuldigung. Laschets Lachen nach der Flutkatastrophe im Ahrtal – Entschuldigung. Im Restaurant umarmt Christian Lindner ohne Maske trotz Maskenpflicht, das Foto geht viral – Entschuldigung.

Umso bemerkenswerter sind die Statements zweier erfahrener Politiker im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine:

Gregor Gysi von der Linken gibt im Interview mit der ZEIT vom 10. März zu:

„Ich bin sehr enttäuscht über die gesamte russische Führung. Ich habe immer geglaubt und gehofft, dass sie keinen völkerrechtswidrigen verbrecherischen Angriffskrieg beginnen. Da habe ich mich geirrt. Wir erleben schwarze Tage für Europa und die Welt. Alle müssen jetzt vieles infrage stellen.“

Und Thomas de Maizière, CDU (Bundesinnenminister von 2013 bis 2018) kommentiert die Willkommenskultur der Polen mit Blick auf die ukrainischen Flüchtlinge. In der ZDF-Sendung Berlin Direkt am 13. März blickt er zurück auf die Flüchtlingskrise 2015:

„Da hat die polnische Regierung damals gesagt (…): Wir nehmen jetzt keine Flüchtlinge. Es kann der Zeitpunkt kommen, wo Flüchtlinge aus der Ukraine kommen. Und dann werden wir sie aufnehmen. Ich habe das damals eher für eine Ausrede gehalten. Heute muss ich Abbitte leisten. Was Polen tut, ist großartig!“

Wer Fehleinschätzungen in dieser Weise korrigieren kann, gewinnt an Glaubwürdigkeit. Die Welt ist nicht rosarot – und niemand ist perfekt und tut immer das Richtige. Und gerade weil in der öffentlichen Wahrnehmung das „toller, höher, weiter“ einen so großen Raum einnimmt, sind solche selbstkritischen Aussagen umso bemerkenswerter. Keine Angst, ein solches Eingeständnis macht den Sprechenden nicht klein. Im Gegenteil: Es macht nahbar, groß und auch ein bisschen großartig!