Die drei Stärken des Politologen Karl-Rudolf Korte im ZEIT-Interview.
In „Flucht vor dem Frust“, ZEIT Nr. 25 vom 7. Juni 2023, wird Korte zum Umfragehoch der AfD gefragt, zu Ursachen und dem Umgang damit. Das Interview ist interessant und anspruchsvoll zugleich. Gut so, denn die Zielgruppe ZEIT-Leser kann mit differenzierten Analysen vermutlich gut umgehen. Was macht der Politikwissenschaftler und Parteienforscher von der Uni Duisburg-Essen hier besonders gut?
Stärke Nr. 1: Der Spagat zwischen Expertise und Anschaulichkeit
Er spielt sprachlich auf einer sehr breiten Klaviatur. Einerseits Wissenschaftssprech: Veränderungszuversicht, Identitätspolitik, Machtarithmetik, Resonanzstörung, Tagesplebiszit volatiler Märke, diskursive Solidargemeinschaften. Schwere Kost, würde sie uns im Radio- oder TV-Interview serviert.
Im eigenen Lesetempo sind die Begriffe besser verdaulich. Und Korte macht sie auch leichter verdaulich, indem er sie mit allgemein verständlichen Begriffen herleitet oder veranschaulicht. Beispiel: „Parteien sind auch Lebenstil-Bastionen. (…) Man muss in Bayern politisch deutlich anders kommunizieren als in Schleswig-Holstein. So ist es auch im Osten.“ Beispiel: „Veränderungs-Patriotismus“. Korte erklärt hier verschiedene Wege, wie Wählerinnen und Wähler in schwierigen Zeiten motiviert werden mitzuziehen. Aus egoistischen Gründen, wie er ausführt, also „ein besserer ÖPNV, grünere Städte“. Oder aus altruistischen Motiven, die „enkelfähig“ sind.
Stärke Nr. 2: Die Magie der Frage
So manchem Interviewten kommt ein Interview vor, wie eine Prüfung: Journalist:innen fragen, der oder die Befragte antwortet. Korte durchbricht dieses Schema und arbeitet selbst mit Fragen. Beispiel: Zunächst erläutert der Parteienforscher, dass die AfD als Defizit-Partei schon immer enttäuschte Wähler eingesammelt hat. Dann fährt er fort: „Das kennen wir. Nun fragt man sich: Was ist neu?“ Er leitet hier also selbst über zu einem neuen Aspekt, beantwortet die selbst gestellte Frage also direkt. Strukturierende Fragen wie diese sind ein wunderbares Mittel, um in einer Antwort von A nach B zu kommen. Und: Sie sorgen auch in Vorträgen oder Präsentationen für neue, frische Aufmerksamkeit beim Publikum.
Beispiel: An weiteren Stellen im Interview wirft Korte Fragen auf, die er als Wissenschaftler nicht selbst beantworten kann. „Wofür kämpft die SPD inhaltlich, wofür werden Rotwesten angezogen?“ oder „Welchen Nutzen haben Wählerinnen und Wähler jetzt?“ Fragen, die Bundes- und Landespolitiker beantworten müssen – um sich gegen die AfD zu positionieren. Es sind Denkanstöße auch in Richtung der Lesenden.
Stärke Nr. 3: Klare Positionierung und Ich-Botschaften
Wem es bis hierher doch noch zu akademisch erscheint, der kommt jetzt auf seine Kosten: Karl-Rudolf Korte versteckt sich nicht hinter wissenschaftlichen Analysen, verliert sich nicht im entschiedenen Sowohl-als-Auch. Er verbindet sich selbst mit seinen Botschaften. Beispiel: „Ich bin häufig auf Landkreistagen eingeladen. 300 Landräte sind gute Seismografen, wenn etwas anbrennt. Da sollten sich Spitzenpolitiker tummeln.“
Beispiel: Zu den hohen Zustimmungswerten der AfD in Sachsen und Thüringen sagt er: „Ich rate dazu, das zu entdramatisieren. (…) Meine Formel für das kommende Jahr lautet: Nicht jetzt schon in Verzweiflung geraten.“ Solche Ich-Botschaften sind in keiner Weise eitel. Sie wirken eher als Kompetenz-Booster. Sie helfen, die eigenen Aussagen noch besser zu transportieren. Wissenschaftler tun sich erfahrungsgemäß mit Ich-Botschaften schwer, verstecken sich lieber hinter ihren Forschungsergebnissen. Schade eigentlich. Eine Prise „ich“ hier und da würde so manchem Interviewten guttun
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