Weg von der Blähsprache, hin zu starken Verben

„Schatz, um einen Zugewinn an Geschwindigkeit zu erreichen, möchte ich bemerken, dass ein koffeinhaltiges Heißgetränk uns ganz beträchtlich helfen würde.“

Kennen Sie Menschen, die so sprechen? Falls ja, wie gern und wie leicht hören Sie diesen zu? In diesem Blog möchte ich Ihnen Mut machen, freier zu formulieren. Ihnen sagen, dass es nicht darum geht, zu reden wie gedruckt. Dafür braucht es möglichst viele, starke Verben.

Unsere deutsche Sprache macht es möglich, dass wir praktisch jedes Verb auch als Substantiv nutzen können. Aus „bewerten“ wird Bewertung, aus „erschließen“ wird Erschließung, aus „übertragen“ wird Übertragung, aus „gewinnen“ wird Gewinn oder noch schlimmer Gewinnung und so weiter. Das ist der sogenannte Nominalstil. Wörter im Nominalstil enden nicht nur auf -ung, sie enden sehr gerne auch auf -tion: Isolation, Manipulation, Evaluation, Qualifikation. Als dritte Variante tritt im Nominalstil die Familie -ierung auf: Formulierung, Terminierung, Falsifizierung, Legitimierung. Und dann haben wir noch die Geschwister -heit und -keit – ebenfalls dringend tatverdächtig, gute Verben zu verdrängen: Einigkeit, Zuverlässigkeit, Besorgtheit, Kargheit, Durchschnittlichkeit.

Vier Varianten – ein Stil: der Nominalstil. Und der wird gepflegt, unter Juristen, in Behörden, in Ministerien, vielfach auch an Hochschulen. Weil es einfach gewichtiger klingt, vermute ich. Offizieller. Differenzierter.

Anders gesagt: aufgeblähter, sperriger, abstrakter!

Beispiele für Blähsprache

„Im Zuge der Überprüfung sämtlicher Leistungen an die Leistungsempfänger sind wir zu der Überzeugung gelangt, dass eine isolierte Betrachtung der individuellen Situationen der Leistungsempfänger nicht zielführend sein kann, weil unter diesem Verzicht auf weitere Indikatoren die Erfassung nicht den Kriterien der Vollständigkeit genügt.“

„Aufgrund günstiger Marktbedingungen, unserer guten Positionierung, erster operativer Verbesserungen und Wachstumsinitiativen konnten wir Umsatz und Ergebnis deutlich steigern. Vor dem Hintergrund unserer starken Geschäftsentwicklung und unseres hohen Auftragsbestands haben wir unsere Jahresprognose angehoben. Unser diversifiziertes Portfolio in attraktiven Märkten und Regionen bildet die Grundlage für eine mittel- und langfristig robuste Entwicklung.“

Versuchen Sie mal, diese Sätze leidenschaftlich und mitreißend zu sprechen. Ich bin gespannt! Wenn Ihnen das gelingt, möchte ich gern Ohrenzeugin sein. Schicken Sie mir dann Ihr Audio unbedingt zu!

Das Problem mit dem Nominalstil zeigt sich besonders im Abgang: Wenn das eigentliche Verb schon als Substantiv daherkommt, wie endet dann der Satz? Man kann eine Bewertung „abgeben“, oder eine Erschließung „vornehmen“. Aber – ich hoffe, Sie können das spüren – so richtig stark ist das nicht. Im Grunde ist dieser Nominalstil eine verpasste Chance. Warum?

Wir brauchen das Verb als Muskel des Satzes

Das Verb ist der Muskel des Satzes! Ohne starken Muskel bleibt ein Satz kraftlos. Leider ist das im Nominalstil oft der Fall. Das mühsam gefundene Verb für das Satzende stolpert irgendwie noch mit hinein.

Hinzu kommt: Verben werden beim Zuhörenden im Gehirn nach aktuellen Erkenntnissen an etwas anderer Stelle entschlüsselt und verarbeitet als Substantive. Verben werden in einem Areal näher am motorischen Cortex verarbeitet. An jenem Teil, die mit unseren eigenen Bewegungen in Verbindung steht. Wenn mir also jemand etwas von einem Spaziergang erzählt, laufen ganz ähnliche Prozesse in meinem Gehirn ab, als wenn ich selbst spazieren gehe. Wenn mir jemand bildhaft schildert, wie er eine steile Bergwand hochgeklettert ist, arbeitet mein Gehirn mit, als würde ich auch klettern. Das heißt: Gute, starke Verben sind sehr aktivierend für das Publikum. Und sie lassen sich auch viel leidenschaftlicher sprechen, als das jeweilige Substantiv.

Bitte mehr „pillow talk“

Unter Kommunikationstrainern hat sich für eine einfachere, weniger aufgeblähte Sprache das Wort „pillow talk“ etabliert. Denn wie sprechen Sie zum Beispiel am Sonntagmorgen, wenn Sie die Augen aufschlagen?

„Schatz, um einen Zugewinn an Geschwindigkeit zu erreichen, möchte ich bemerken, dass ein koffeinhaltiges Heißgetränk uns ganz beträchtlich helfen würde.“

Oder sagen Sie:

„Schatz, soll ich uns einen Kaffee kochen?“