Die fünf Stärken der Habeck-Rede

Schwarzer Anzug, schwarze Krawatte, weißes Hemd. Robert Habeck spricht am 1. November 2023 als Vize-Kanzler zum Krieg zwischen der Hamas und Israel. Ihm gelingt, so bewerten es Kommentatoren aus einem breiten politischen Spektrum, eine fast präsidiale Gratwanderung. Ein Balanceakt mit Klartext und Haltung.

Die ZEIT schreibt die Rede sei ein „Kontrastmittel, um die Blässe anderer Politiker sichtbar zu machen“. Habeck habe eine Art „Lagerfeuer“ entzündet, an dem sich alle diejenigen versammeln und wärmen könnten, die nach demokratischen Regeln agieren.

Hier die aus meiner Sicht fünf größten Stärken der Rede:

  1. Ihre Länge: Rund 9 Minuten und 40 Sekunden spricht Habeck in die Kamera. Das ist jenseits aller Instagramm- und Tiktok-Quickies und dem Thema sehr angemessen. Zugleich ist in den knapp 10 Minuten Wesentliches gesagt, das Entscheidende auf den Punkt gebracht. Hätten weitere 10 Minuten noch mehr Nachhall erzeugt? Ich bezweifle es.
  • Ihre Optik: Habeck schaut direkt in die Kamera, hält den Blickkontakt. Seine Mimik ist ernst und zugleich lebendig. Es gibt einige, wenige Schnitte, wo er vermutlich neu ansetzen musste. Kein Firlefanz mit Deko im Hintergrund oder einer zweiten Kamera von der Seite. Der Fokus liegt auf dem Sprechenden und seiner Botschaft. Die richtige Dosis an intuitiven (= nicht antrainierten) Gesten unterstützt die Botschaften.
  • Ihre Tonalität: Der Vize-Kanzler spricht engagiert, aber nicht aufgeregt. Es gibt sehr schnelle Passagen, dann wieder etwas ruhigere. Es wirkt, als habe Habeck sich die Rede wirklich zu eigen gemacht, mit guten, ausdruckstarken Betonungen und einer sehr natürlichen Sprechweise. Habeck klingt nach Habeck, und nicht nach Papier oder Teleprompter.
  • Ihre Sprache: Die „Generation meines Großvaters“ habe den Vernichtungskrieg gegen die Juden geführt, sagt Habeck. Er habe in diesem Tagen mit vielen Vertretern der jüdischen Gemeinden gesprochen. Er gibt wörtlich wieder, wie diese nun gezwungen sind, sich zu verstecken, welche Ängste sie ausstehen. Habeck berichtet von seiner Reise in die Türkei, in der dieser Krieg ebenfalls Thema war. Das heißt, er nimmt alle Zuhörenden mit, nutzt leicht verständliche Sprache und gute, wenn auch beunruhigende Beispiele. Wen die Situation der Jüdinnen und Juden in Deutschland bis dahin nicht weiter interessierte, der versteht nun die Dramatik auch hierzulande.
  • Ihre rhetorische Kraft: Habeck arbeitet mit Rhythmus in der Sprache und auch mit Wiederholungen. „Heute hier in Deutschland, fast 80 Jahre nach dem Holocaust“ – diese Formel kommt drei Mal und unterstreicht, welchen Anfeindungen Jüdinnen und Juden hier zunehmend ausgesetzt sind. „Antisemitismus ist in keiner Gestalt zu tolerieren, in keiner!“ – Hier schaffen die letzten beiden Worte noch mehr Nachdruck. Und noch ein Schlüsselsatz:

„Hamas will nicht Aussöhnung MIT Israel, sondern die Auslöschung VON Israel.“ Das ist kein selbstverliebtes Wortgeklingel. Das ist ein politisches Statement mit Klarheit und Kraft.

Gibt es noch Luft nach oben? Wenig.

Zwei, drei Sätze geraten etwas lang und verschwurbelt.

Ein paar gut gesetzte Pausen hätten die Botschaften noch größer gemacht.

Aber dann wäre die „Blässe anderer Politiker“ (ZEIT) ja nur noch deutlicher geworden.