Die Authentizitätsfalle

Oft gefragt und gewünscht, selten zielführend: Warum „authentisch sein“ in der Öffentlichkeit in die Irre führen kann

Von Dr. Katrin Prüfig

Authentizität. Mehr als 12 Millionen Einträge bei Google, ein Großteil davon Coachings und Trainings auf dem Weg zum „authentischen“ Dasein. Auch als Trainerin höre ich oft, dass Teilnehmer „authentisch“ wirken wollen. Mir juckt es dann in den Fingern zu sagen: Wie authentisch wollen Sie sein, wenn z.B. um 11 Uhr das Kamerateam wartet, Sie sich aber gerade maßlos über einen Mitarbeiter geärgert haben. Den Morgen hat ihr pubertierender Sohn mit Nicht-Kommunikation verdorben und Ihr Backenzahn rechts hinten (für Zahnärzte: die 4-7) meldet sich auch wieder? „Authentisch“ wäre dann zu sagen: „Leute, ich habe keinen Bock auf dieses Interview. Kommt morgen wieder!“ Geht natürlich nicht.

Momente ganz ungefilterter Authentizität gibt es in den Medien immer wieder mal: Da rastet ein Per Mertesacker bei der Fußball-WM vor laufenden Kameras aus, Toni Kroos macht den Reporter an und lästert über „Scheißfragen“, Elon Musk macht in Interviews sowieso, was er will. Nur eben nicht gut kommunizieren…

Die „Authentizitätsfalle“ heißt ein Kapitel von Rolf Dobelli im Buch „Die Kunst des guten Lebens“. Dort schreibt er unter anderem: „Authentizität hat ihren berechtigten Platz in der Lebenspartnerschaft oder in einer sehr engen Freundschaft, aber nicht gegenüber flüchtig Bekannten und schon gar nicht gegenüber der Öffentlichkeit.“

Dobelli rät: Legen Sie sich eine Art „Außenministerin oder Außenminister“ zu. Eine Variante Ihrer eigenen Person, die verlässlich kommuniziert, hält was sie verspricht, professionell auftritt und „ein Minimum an Manieren an den Tag legt“. Ein solcher Außenminister würde nie, wie im oben beschriebenen Szenario, zum Interview kommen und das Team wieder wegschicken. Er würde Haltung bewahren und seine Kommunikationschance nutzen. Und darum geht es!

Muss ich dann schauspielern, mich verstellen, klingen dann alle gleich? Ein klares Nein! Dies hier ist kein Plädoyer für Teflon-Kommunikation, wie wir sie im politischen Berlin oft erleben. Es darf im Interview auch zur Sache gehen, es darf knirschen, Sie dürfen grummeln, nur eben nicht komplett aus der Rolle fallen. Das wäre schade!

Also: Bei sich selbst bleiben, bei den eigenen Botschaften UND mit dem eigenen „Außenminister“ nach den Regeln des Mediums spielen – dann wird’s richtig gut!