Heimspiel in der Männerrunde – Friedrich Merz bei der FAZ

Zwei Bemerkungen vorab:

  1. Lieber Kameramann (ich nehme an, es war ein Mann, siehe unten),
    Autofokus ist Mist. Der macht, was er will. Und die Schärfe liegt überall, nur nicht konstant auf dem Gast.
  2. Liebe FAZ,
    Ein tolles Format. Habt Ihr die Frauen alle ausgeladen? Nur ältere, weiße Männer auf der Bühne, und auch die Live-Fragen kamen ausschließlich von Männern. Merkt Ihr selbst, oder?

CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz kam frisch aus Davos vom Weltwirtschaftsforum. „Nicht vom Skifahren“, wie er betont. Der erste Lacher. Überhaupt wirkte er gelassen und fröhlich, punktete mit Details wie „Die Beschaffung neuer Unterhosen für die Bundeswehr dauert derzeit 18 Monate“. Da habe man noch Potential für Beschleunigung. Wieder ein Lacher.

Insgesamt gelingt ihm in der Wirkung eine Mischung aus ernsthaft, nachdenklich, engagiert, zupackend und humorvoll. Nahbarkeit täte ihm zusätzlich gut, war in dieser Konstellation aber nicht entscheidend (siehe oben, Männerrunde).

Licht, Schatten und Kurioses auf den Ebenen Visuelles, Akustik und Inhalt

Visuelles – also Körpersprache, Mimik, Gestik: Friedrich Merz hat sich ein Headset geben lassen. Das gibt seinen Händen mehr Freiraum für Gestik, die er gut dosiert einsetzt. Im ersten Screenshot sieht man zudem, dass der CDU-Politiker selbst im Sitzen Raum einnimmt. Der linke Arm auf die Lehne gestützt – das macht ihn breiter und „sichtbarer“, ohne dass es komisch wirkt.

In drei Momenten entgleitet ihm allerdings die Kontrolle über seine Körpersprache: Einmal zieht er sich durch die Anzughose seine Socken hoch, hier war sogar die Kamera mit der richtigen Schärfe dabei.

Bei einer Frage aus dem Publikum hält er sich die Faust seltsam vor dem Mund. Hände im Gesicht werden oft als Unsicherheit oder als nötige Beruhigungsgeste interpretiert. Oder als Zurückhalten von Emotionen. Insofern sollte er das lassen.

Und – mein Lieblingsmoment – die Clownsfüße. Für mich ein Zeichen, dass sich der Kandidat in dieser Runde einfach wohl fühlt und vergisst, dass er auf einer Bühne sitzt und zugleich im Livestream im ganzen Land gesehen wird.

Akustik – also unter anderem Sprechweise, Tempo, Betonungen: Merz macht akustisch vieles richtig. Gutes Sprechtempo, mal kurze und mal längere Sätze. Engagierte Betonungen, unterstrichen von der aktiven Gestik. Die Tonalität vermittelt, dass er in vielen Themen sattelfest ist und Dinge anpacken und ändern will.

Inhalt – also Botschaften, Verständlichkeit, Struktur.

Über den 90-minütigen Austausch hinweg erwähnt der CDU-Kanzlerkandidat immer wieder, mit wem er alles so spricht: Mit Präsident Selenskyi in Davos, mit dem Chef von Google, regelmäßig mit Ursula von der Leyen, mit Thomas Bach vom IOC, mit 20 EVP-Vorsitzenden, die er ins Adenauerhaus eingeladen hatte. Das mag als Signal gemeint sein: Schaut her, ich bin gut vernetzt. Aus meiner Sicht ist es auch ein Risiko: Hier bewegt sich ein Mann unter den oberen Zehntausend. Hier fehlt es möglicherweise an Erdung. Denn Gespräche mit dem Bäcker um die Ecke, mit dem Fliesenleger, mit der Krankenschwester – die fehlen komplett.

Trotzdem ist Merz mit dieser Zielgruppe (FAZ-Leser und politisch Interessierte) weitgehend auf Augenhöhe. Vermutlich verstehen die Zuhörenden Worte wie „prosperierend“, „De-Industrialisierung“, „win-win“ und „Ladeinfrastruktur“. Zweifel habe ich bei „CCS“ und „CCO“, wo es um das Auffangen und Lagern von Kohlendioxid-Emissionen geht.

Im Umgang mit Zahlen, Schulden, finanziellen Reserven überfordert Merz dagegen das Publikum und dessen Aufmerksamkeit. Viele Zahlen setzt er zwar in Relation, z.B. zum Landeshaushalt Hessen oder NRW. Aber es sind einfach zu viele davon – und der Landeshaushalt NRW erschließt sich auch nicht jedem auf Anhieb.

Für die kommende Wahlarena zum Beispiel auf RTL darf es gern etwas leichter verständlich sein. Andere Wortwahl, weniger Zahlen. Und gern auch kürzere Antworten. Zwingend braucht er dann mehr Nahbarkeit, weniger Insidertreffen mit „wichtigen“ Personen, mehr Erdung.