Schauen wir ihr doch einmal über die Schulter: Ursula von der Leyen bei ihrer „State of the European Union“-Rede am 10. September im Europaparlament. Die Kommissionspräsidentin ist eine geübte Rednerin – und sie hat professionelle und geübte Redenschreiberinnen und -schreiber. Beides aber wäre noch keine Garantie für eine gut gehaltene Rede.
Es braucht die Extra-Meile, die gute Vorarbeit an und mit einem Redemanuskript. Und genau das sehen wir hier in dieser ungewöhnlichen Kameraperspektive (Quelle: ZDF, heute, 19 Uhr am 10. September 2025).
Dies hier ist kein politischer Kommentar zu den Inhalten. Mir geht es um das Handwerk, die Vorbereitung auf einen Auftritt. Die Grundlage für eine charismatische Sprechweise.
Im Manuskript hat Ursula von der Leyen manche Wörter umrandet, andere unterstrichen. Es gibt Ausrufezeichen und eine Reihe mit dem Buchstaben x, vermutlich der Hinweis auf eine längere Sprechpause.
Einen Text so zu markieren setzt voraus, dass ich ihn mindestens halblaut gelesen habe. Dass ich Wichtiges von Unwichtigem trenne. Betontes von Unbetontem. Dass ich mit den Text zu eigen mache,
Außerdem sehen wir die relativ große Schrift, fettgedruckt, mit großem Zeilenabstand. Auch das gibt einem Redner und einer Rednerin Sicherheit und schnelle Orientierung, wenn der Blick vom Publikum wieder zum Manuskript zurück geht.
Man kann diese vorbereitende Textarbeit noch sehr viel weitertreiben: Manche Redner markieren humorvolle Passagen mit z.B. gelbem Textmarker, ernste Absätze mit blauem Textmarker. Pausen dürfen ebenso von Hand ergänzt werden wie z.B. „Regiehinweise“ – freundlich gucken! – mit einem Smiley.
Ich rate ausdrücklich dazu, ein Manuskript nicht nur still, sondern halblaut oder sogar laut zu lesen. Erst das zeigt, welche Sätze funktionieren und wo es holpert. Wenn diese Vorarbeit getan ist, kann sich der oder die Sprechende viel mehr auf das Publikum einlassen. Kann sich vom Manuskript lösen. Laut, deutlich und mit Nachdruck Botschaften präsentieren. Vielleicht auch mal Tempo und Lautstärke variieren. Gute, akustische Punkte machen. Und – ganz wichtig – Pausen setzen. Wirkpausen, Kraftpausen. In denen die Botschaft nachhallt.
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